Platon: Zeuge der Vernunft Gottes
"Die Gottesfrage großer Philosophen", so
das Thema einer Vortragsreihe am Heinrich Pech Haus in Ludwigshafen, die mir
die Bedeutung von Platon für unser
christliches Gottesverständnis wieder neu ins Bewusstsein rief. Platon erkennt erstmals schöpferische Ideen, die
über den sinnlich wahrnehmbaren Dingen stehen: eine Vernunft, aus der alles
hervorgeht und die Maßstab seiner Moraltheologie ist. Platon ist somit Zeuge
des Logos, der später in Jesus Mensch wurde. Ohne Platon ist unsere Religion
nicht christlich, sondern bleibt jüdisch, allein aufs Gesetzt gestellt.
Einleitung:
Die Krise der Kirche sei eine Krise der Gottesfrage,
so die Bewertung katholischer Bischöfe, die damit den Kern unserer
Glaubensprobleme treffen. Es sei daher sinnvoll, sich mit den Gottesfragen
bedeuteter Philosophen auseinander zusetzen, sagt Pater Holter, der das Welt-
und Gottesbild in seinen kurzen Ausführungen sehr anschaulich auf den Punkt
brachte. Was mich von den engangiert und sehr fundiert vorgetragenen Gedanken
des katholischen Geistlichen unterscheidet, ist die Perspektive des
christlichen Glaubens: Für mich ist das Wesen unseres Glaubens der Verstand
Gottes, sein lebendiges Wort, von dem alles Werden ausgeht. Platon, seine
Ideenlehre und mit ihr die gesamte Philosophie erscheinen so in einem völlig
neuen Licht.
Platon:
Wendepunkt vom Mythos zum Logos
Platon ist nicht der erste und nicht der einzige
Denker, der am Übergang vom mythologischen Weltbild der Hellenen (Homer) zur
rationalen Erklärung allen Werdens steht. Und doch steht der Name Platon in
besonderer Weise für die rationale Welt- und Gotteserklärung, die wir mit dem
griechischen Denken verbinden.
Wer den Logos als das christliches Licht der Welt
wahrnimmt, für den ist daher Platon weit mehr als ein altgriechischer
Philosoph: Ohne die Wahrnehmung der durch Platon vernünftig erklärten
Weltvernunft, aus der alles Werden hervorgeht, wäre das Neue Testament nur ein
leeres Aufwärmen altjüdischerer Texte und Weisheiten. (Was es für die heutige
Theologie leider nur ist.)
Platons Lehre ist eine erste Ausformung des
schöpferischen Logos als Grundlage der Welterstehung und -erhaltung. Platon ist
zwar noch weit davon entfernt, in der Idee des Guten und Absoluten, einem über
allem schwebenden Verstand, das Wort des jüdischen Gottes zu erkennen. Dieser
ist dem damaligen Griechentum noch unbekannt. Die Gottesfrage im jüdischen
Sinne, hat sich für Platon nicht gestellt. Und doch liefert Platon die
Grundlage dafür, dass später das schöpferische Wort als Sohn Gottes in der
Ausdrucksform eines jüdischen Charismatikers das Licht der Welt erblickt. Die
Gestalt, die wir als Wanderprediger kennen, wäre ohne das in Platons Lehren zum Ausdruck kommende
schöpferische Wort eine rein menschliche Projektion.
Wer das Wort Gottes nur zwischen zwei Buchdeckeln
vermutet, der kann die Bedeutung von Platon für unseren Glauben kaum begreifen,
für den bleibt alles pure Philosophie. Doch wer nicht in einem verherrlichten
Wanderpredigers, sondern in einem als Wanderprediger wiederverstanden
lebendigen Wort die messianische Wirkung für den jüdischen Glauben wahrnimmt,
für den wird Platon in zweifacher Weise zum Zeuge Jesus: Er bezeugt den
schöpferischen Verstand, einen über allem stehen Logos und er erzeugt daraus
eine neue Gotteslehre, die damals noch rein griechisch war.
Philosophie
als Theologie
Die Idee eines Logos als Urpinzip,
Ausgangspunkt.....allen Seins, kennen wir seit Heraklit. Auch wenn nicht immer
der Begriff "Logos" dafür gebraucht wird, zieht sich die Lehre von
einem vernünftigen Werden, einem ewigen Fluss evolutionären Fortschrittes durch
die gesamte Naturphilosophie der alten Griechen. Doch Platon war ein Wendepunk.
Nicht die Natur selbst ist es für ihn, aus der alles
neu geboren wird, sondern ein über allem stehender Verstand, der außerhalb des
sinnlich wahrnehmbaren liegt. Über allen Naturphänomenen schwebt nicht
irgendwie und irgendwo ein mystischer Geist, sondern alles sinnlich
wahrnehmbare, alle Natur wird von diesem Geist vernünftig gelenkt. Der Geist
eines Schöpfers, auch wenn er für Platon noch nicht mit dem jüdischen Jahwe
identisch war, offenbart sich in der sichtbaren Schöpfung, seinen Geschöpfen.
Platon ist damit vom Pantheismus weit entfernt. Was er im Werden wahrnimmt, ist
nicht der Schöpfer, sondern nur dessen sichtbare Vernunft, wie sie im neuen
Testament als der vom Vater gesandte Sohn verkündet wird.
Platon ist
damit weiter als unsere Wissenschaft. Wenn unsere Wissenschaft nur als Fußnote
des Platonischen Weltbildes betrachtet wird, dann werden wir Platon in keiner
Weise gerecht. Platon ging es nicht um das Wissen vom Werden. Sein Thema war
die Gottesfrage. Was wir bei Platon lesen ist pure Theologie, auch wenn
versucht wird, die Frage nach dem Ursprung und Sinn allen Seins denkerisch zu
lösen. Doch genau darum ist Platon ein Großvater des christlichen Glaubens.
Platon paust nicht alte Göttertraditionen ab, sondern er erklärt das göttliche
Wirken auf logische weise.
Platon hat nicht nach dem "Guten" im
allgemeinen gefragt. Der Begriff des Guten und Schönen hatte eine
göttlich-schöpferische Grundlage, die noch im griechischen Denken verbleibt.
Doch nicht der Mensch war für Platon Maßstab des Schönen und Guten, sondern ein
aller Genesis zugrundeliegender Geist. Nicht eine Weltethik im heutigen Sinne
stand auf dem Programm. Platon ist Hebamme einer vernünftigen Gotteserkenntnis,
aus der sich erst eine vernünftige Lebensweise ableitet.
Nicht im blinden Nachbeten vorgegebener Gesetze,
sondern im vernünftigen Dialog wird versucht, die Wahrheit zu begründen. Die
Brücke dieses Bewusstseins von einem vernünftigen Werden der Welt zum Wort des
jüdischen Gottes wurde erst später geschlagen, am Beginn unserer Zeitrechnung.
Für Platon war die Gottesfrage nicht mit einem personalen Gotteswesen
verbunden, wie es uns aus biblischen Überlieferungen bekannt ist. Und doch hat
Platon den Monotheismus neu begründet.
Zu einer Zeit, in der die jüdische Religion noch mit
der monotheistischen Gotteslehre ringt, Jesaja als ein Meilenstein zu einer
neuen monotheistischen Lehre von einem einzigen Gott als gütigen Schöpfer
gesehen werden kann, liefert der Grieche im fernen Athen dafür in seiner
Metaphysik die logische Begründung. Bei ihm bleibt der eine Schöpfer des
Himmels und der Erde keine bloße Religionsbehauptung, die sich aus
Überlieferungen ableitet. Am Anfang allen Werdens wird ganz rational ein
gemeinsamer Ursprung aller Genesis erklärt. Was sich quasi erst heute in der
Evolutionslehre wissenschaftlich bewahrheitet, wird in Platons metaphysischem
Weltmodell bereits vorausgesetzt. Anders als in unserem
evolutionär-wissenschaftlichen Denken ist es kein purer Zufall, sondern ein
Geist, von dem alles ausgeht. (Auch wenn dessen Wirk-sam-keit im evolutionären
Werden noch nicht wahrgenommen wird, weil unsere Fähigkeit das lebendige Wort
Gottes wahrzunehmen, von einer Gesetzlichkeit erstickt wird, ist die
Evolutionslehre die empirische Begründung für eine antike Erkenntnis, die
später in Jesus zum neuen Gottesverständnis führte.)
Die
Theodizeefrage, die uns heute ebenso stark beschäftigt wie Hiob, ist bei Platon
weitgehend beantworte bzw. kann in seiner Welterklärung nicht vorkommen Was wir
als Leid sehen und daher Gott in Frage stellen wollen, wird in Platons
Erklärung des Werdens logisch begründet. Was muss es für eine kreative Leistung
gewesen sein, den griechischen Logos und das jüdische Wort auf einen Nenner zu
bringen: eine neue Theologie vom verständlichen Wort, das Platon verstanden
hat.
Was würde es für uns bedeuten, wenn wir neben dem
sinnlich sichtbaren wieder die ewigen Ideen wahrnehmbaren würden, wie sie uns
Platon lehrte? Wie können wir den Logos, der seinen Lehren zugrunde liegt,
wieder neu mit Leben erfüllen? Wir bräuchten dazu keine spekulative Metaphysik,
sondern können den Geist bzw. das Wort Gottes im kosmischen Werden
wissenschaftlich erklären. Es geht
daher nicht darum die Modelle, wie sie uns von Platon überliefert sind,
auswendig zu lernen oder zu übernehmen. Zwar können wir viel von antiken
Kosmologien lernen, uns begeistern lassen, für den Scharfsinn, in dem diese
Schöpfungsmodelle beschreiben sind. Doch wie wichtig es wäre es, im heutigen
Wissen um das evolutionäre Werden den bereits damals lebendigen Logos
wahrzunehmen, das können wir von Platon lernen. Würde nicht dieser Logos noch
vielfach heller leuchten, wenn er nicht nur in antiken Weltbildern, sondern
seit dem Urknall in der Evolution des gesamten Weltalls bis zum menschlich
rational und gleichzeitig gefühlvollen Wesens sichtbar wäre?
Doch dieser Logos war für Platon weit mehr als
philosophische Welterklärung. Er war Offenbarer des göttlichen Willens und
somit Wegweiser für die menschliche Vernunft, sollte Leitlinie des Lebens sein.
Platon zu säkularisieren, nur weil unser Philosophieren, unsere Vernunft und
unser Wissen nicht mehr von einem alles bestimmenden Gott ausgehen, wäre
grundverkehrt. Wir würden Sokrates bzw. Platon ins Gegenteil verkehren. Das
Gute, an dem sich der Mensch zu orientieren hat und das in den Dialogen
versucht wurde zu ergründen, war kein Weltethos, der von menschlichen
Meinungen, zufälligen Mehrheiten (Zusammenschlüsse von Egoismen) oder zufällig,
zeitbedingten Machtkonstellationen ausging, sondern gründete auf die göttliche
Genesis. Während die heutige Theologie die ethischen Aussagen der Bibel nicht
wirklich auf den Wille eines Schöpfers von Himmels und der Erde begründen kann,
auch wenn sie noch so oft dazu das "Wort Gottes" in den Mund nimmt,
bezieht sich die Ethik Platons auf den Geist Gottes, von dem alles Werden
ausgeht. Wer also ist wirklich säkular?
Für Zeitgenossen, die Gottes Wort nur aus dem Mund
von vorgesetzten Menschen oder alten
Texten wahrnehmen und nicht im Werden der Natur, für die bleibt Platon pure,
säkulare Philosophie. Erst wenn wir das Wort Gottes in einem seit dem
Sternenstaub sichtbar vernünftigen Werden wahrnehmen, werden wir auch die
Bedeutung der Platonschen Ideen neu verstehen.
Platon ist
noch nicht das Neue Testament
Von dem, was wir im Neuen Testament lesen, ist
Platon noch weit entfernt. Auch wenn viele Begebenheiten im griechischen
Geschehen auf die Geschichte Jesus hinweisen. So z.B. können wir bereits bei
Platon lesen, dass der absolut vollkommene Mensch abgelehnt und gekreuzigt wird.
Und auch Sokrates starb, weil er den überkommenen Götterglaube erneuern wollte.
Viele weitere Parallelen wären zu ziehen. Ganz zu schweigen von den ethischen
Lebenslehren. Doch all das zeigt nicht die wahre Verwandtschaft, bleibt an der
Oberfläche. Es geht nicht darum, dass die griechisch gebildeten Evangelisten
griechische Lehren oder die Philosophensage in ihre Verherrlichungstexte
aufgenommen haben, wie mancher Exegese vermutet. Gar einer billigen Propaganda
wegen, um die Heiden besser für den neuen Glauben begeistern zu können. Die
Gemeinsamkeit liegt in einer neuen Lösung der Gottesfrage. Ein neues Verstehen
des schöpferischen Wortes stand auf dem Programm Platons ebenso wie bei
Paulus.
Während sich Sokrates sowie Platon mit der
griechischen Mythologie auseinandersetzen, die obskure Vielgötterwelt durch ein
vernünftiges Welt- bzw. Gottesbild versuchen zu erneuern, geht es bei Paulus um
den in die Jahre gekommenen Gesetzesglaube der Juden, der durch Jesus als den
lebendigen Logos erneuert wird.
Doch während Platon noch in einer philosophischen
Ideenwelt bleibt, wird im Neuen Testament der schöpferische Logos für die
Menschen verständlich. Erst als begreifbarer Mensch entfaltet er seine wahre
Wirkung. Die Ausformung, in der damals
der Logos wahrzunehmen war, wurde weitgehend vorgegeben durch den
jüdischen Glaube, dessen Gestalten und Lehren. Wer, wie z.B. der jüdische
Apologet Philo von Alexandrien (versehentlich nur als Neuplatoniker gesehen,
der den jüdischen Glaube griechisch zurechtbiegen wollte) in der jüdischen
Religionstradition die sinnvollste Philosophie sah, der musste
konsequenterweise den Logos in Bilden ausdrücken, die der jüdischen Lehre
gerecht wurden. Das war logisch, entsprach dem Logos, der nur als Mensch für
die Menschen seine Heilskraft entfalten konnte: Messias der Juden war. (Zwar
ist die alexandrische Philosophie selbst nicht den Schritt zum menschlichen
Messias gegangen, sondern bei einer philosophischen Christologie geblieben. Der
Wanderprediger Jesus kommt bei Philo nicht vor. Und doch war hier die Schwelle
zum neuen Testament. Neben der von Neutestamentlern bestätigten geistigen
Voraussetzung für die christliche Theologie bzw. Christologie wird hier
verständlich, warum der Logos die Gestalt annehmen musste, die wir kennen. Wer
die jüdischen Texte als großartige Allegorie eines schöpferischen Logos liest,
der muss diese Allegorie fortsetzen.
Das
Höhlengleichnis heute
Das Höhlengleichnis
handelt von Menschen, die nur die Schatten der wahren Gestalten sehen.
Sie sitzen in einer Höhle und können nur in deren Tiefe schauen. Der Blick zum
Eingang der Höhle ist ihnen verwehrt. Sie sehen nicht die eigentlichen
Gestalten, die an der Höhle vorbeiziehen, sondern nur deren Schatten. Daher
halten sie diese Schatten dann letztlich für die einzig wahre Wesen. Was
notwendig wäre, um die lebendigen Wesen selbst wahrzunehmen, ist ein Wechsel
der Blickrichtung, hin zum Licht. Doch
sind den Höhlenbewohnern dazu die Hände gebunden.
Immer wieder wird die Nähe dieser und anderer
antiker Aussagen zum Neuen Testament betont. Auch dort wurde eine Wende hin zum
Licht verlangt, war diese Wende Voraussetzung für das neue Gottesverständnis.
Nur im Licht des Verstandes lässt sich die Wahrheit sehen, so eine Grundaussage
des Gleichnisses. Doch den Wechsel vom Mythos zum Logos haben wir längst hinter
uns. Verstand scheinen wir im Überfluss zu besitzen, behaupten sogar, dass er
der Erkenntnis Gottes im Wege stehen würde. Was also hält uns gefangen,
verhindert ein Sehen der Wirklichkeit.
Wie damals bedarf es einen Wechsel der Perspektiven.
Wenn vom Leben im Schattenreich gesprochen wird,
wäre es zu kurz, nur das verhaftet sein im mechanisch-materialistischen
Weltbild zu sehen, bei dem alles Werden auf purem Zufall beruht. Wenn wir nur
die Abbilder, der ewigen Ideen sehen, die sich in der sichtbaren Welt in immer
wiederveränderten Formen zeigen und nicht den dahinter liegenden Geist der
Genesis selbst wahrnehmen, dann liegt das auch daran, dass wir unsere
Information über Gott nur aus Büchern entnehmen. Solange wir Gottes Wort nicht
auch als Information in aller Formgebung wahrnehmen, sind uns zwei Hände
gebunden: Glaube und Wissen.