Gerhard Mentzel

Schänzelstrasse 9

67377 Gommersheim

gerhard.mentzel@gmx.de                                                                           16. August 2006

 

 

 

An

den Heiligen Vater

Papst Benedikt XVI

Josef Ratzinger

 

Via della Concilazione

SCV-00120 Citta Del Vaticano

 

 

 

 

 

Anstoß zur Frage nach dem zeitgemäßen Gesicht Jesus:

einem auch heute lebendigen Schöpfungswort/Logos allen natürlichen Lebens

 

 

Sehr verehrter Heiliger Vater,

 

ein kritischer Artikel im Feuilleton der FAZ über den von Ihnen angekündigten Besuch des Schleierbildes vom auferstandenen Jesus in Manoppello ist aktueller Anlass, ein lang gehegtes Vorhaben aufzugreifen: Sie aufzufordern, den Anstoß zu einer Frage nach dem historischen und gleichzeitig hoheitlichen bzw. auch heute lebendigen Jesus zu geben.

 

Aufgrund jahrelangen Lernens bei der historisch-kritischen Forschung, der dogmatischen Exegese, wie der Geschichte des antiken Denkens macht mich jede neue wissenschaftliche Erkenntnis gewisser: Beim historischen Jesus ging es nicht um einen anschließend kirchlich vergotteten Guru, wie ihn letztlich alle heutige Lehre wie selbstverständlich voraussetzt. Während alle theologische Wissenschaft einen mit seinen Fischerfreunden um den See Genezareth ziehenden besonders begnadeten Wanderprediger wie selbstverständlich annimmt, will ich nach dem Wesen Fragen, das nicht nur Philo von Alexandrien, Origenes und Co, sondern der gesamte frühe Kirche als Gottessohn angenommen haben. Denn wer nach allem was wir heute Wissen Gegenstand der frühkirchlichen Diskussion war, wessen menschliches Wesen hochgehalten wurde, der muss ganz anders ausgesehen haben als der, den die moderne Welt heute für das einzig wahre historische Wesen hält. Dabei gehe ich jedoch nicht von einem Christus des persönlichen oder dogmatischen Glaubens aus, der heute oft wie eine Art christlicher Gott einfach angenommen und angesprochen wird. Im heutigen Weltbild des kausal-vernünftigen Werdens will ich nach einem Wesen suchen, das damals als Weltvernunft/Schöpfungswort/-weisheit eine ganz konkrete Größe war: Ein schöpferisch-menschliches Vermittlungswesen, das nicht einfach dogmatisch als Gott zu behaupten ist, sondern als kosmische Vernunft/Wirk-lichkeit erst auf den einen Schöpfer verweist.

 

Es geht nicht darum, das in dem Bergdorf der Abruzzen zu sehende Schleierbild des liebevoll lächelnden Jesus wie eine Tarnkappe vom Kopf des heute für tot gehaltenen Jesus zu reißen, um jetzt das Anlitz des Auferstandenen in völlig abstrakter Weise sehen zu wollen. Gar das bisherige Verständnis des charismatischen Wanderpredigers als falsch abzutun oder der christlichen Religion den letzten Rest von Rückhalt zu rauben: Die Menschen ganz und gar in Zweifel zu stürzen, weil jetzt auch noch die im bisherigen Kurz-schluss angenommene einzige Realität des Gutmenschen Jesus genommen wird. Vielmehr wäre m.E. gerade in Manoppello, wo Sie nach ihren Kritikern der Ratio den Rücken zuwenden und die aufgeklärt-christliche Religion in eine geheimnisvolle Welt zurück führen würden, weil Sie noch vor ihrem Deutschlandbesuch der bildhaften Darstellung des Wortes die Referenz erweisen, durch päpstliche Fragen ein Denkprozess in Bewegung zu setzen. Ein Denken, das letztlich zu einem völlig neuen christlichen Selbstverständnis führt, das dem westlichen Weltbild voraus ist, gleichzeitig die Bedeutung der christlichen Dogmen bzw. Heilsbedeutungen in völlig neuer Weise belegt.

 

Ich gehe davon aus, dass Sie das am 3.Aug. in der FAZ groß abgebildete Gesicht auf dem Linnen nicht im buchstäblichen Sinne für das Abbild eines hingerichteten und anschließend geheimnisvoll wiedererweckten Heilspredigers halten. Denn als guter Kenner der Bibel wissen Sie, dass davon keiner der Verfasser handelt, nicht die beschriebene Heilswirkung im Denken der Zeitenwende und in der Weltgeschichte ausgegangen sein könnte, die Gegenstand all Ihrer Predigten ist. Wenn Sie daher in den Abruzzen nach der Vernunft dieser für das kollektive menschliche Verständnis in der Geistesgeschichte notwenigen Bilder fragen. Gleichzeitig jedoch über die Weltvernunft/das Schöpfungswort/-weisheit bzw. das Wesen nachdenken lassen, das damals dem neuen, nun für Juden und Heiden gleichermaßen geltenden monotheistischen Bund zugrunde lag (nicht einfach mit einem geheimnisvollen Christusgott abgetan werden kann, wie ihn heute Gläubige im Herzen tragen, sondern kosmisch-geschichtliche Wirk-lichkeit hatte), könnte Manoppello als Wendepunkt in die Geschichtsbücher eingehen. Warum greifen Sie die Argumente des Intellektes nicht auf, um diesen darüber nachdenken zu lassen, warum der in seiner bekannten Form geschichtliche Jesus eine schöpferische (kreative) und gleichzeitig menschliche Funktion hatte und der Weg der frühen Kirche, die Festlegung der Konzile und des Kanon, der einzig schöpferisch-vernünftige war? Nur so in damaliger Sprache den Menschen die schöpferische Vernunft näher zu bringen, vernünftig zu vermitteln war. (Eine Logik, die in der modernen Kommunikation längst Lehre ist.)

 

„Ein auf die Vernunft pochender Büchermensch, der noch vor wenigen Jahren, als er die Marienbotschaft von Fatima zu enthüllen hatte, deutlich auf die Wunderbremse trat, als wolle er sagen: Sachte liebe Leute, sachte, ihr glaubt ja nicht der Wunder wegen, die ihr seht, sondern des Gottes, den ihr nicht seht“ der würde jetzt den Hubschrauber besteigen, um in die vergeisterte Wunderwelt zurückzufliegen, war unter der Headline „Runter von der Wunderbremse“ zu lesen. Während die Kritiker polemisch fragen, „warum der Intellektuelle auf dem Papsthron jetzt zu diesem Linnen reist?“ könnten Sie in den Abruzzen dem Intellekt eine neue Aufgabe stellen. Während polemisch spekuliert wird, ob gar die Russenmafia die Hände im Spiel hat, Sie evtl. zu einem ökumenischen Schulterschluss mit der bildbewegten orthodoxen Kirche und ihren Christusikonen gezwungen wurden oder nur der Vernunft eine Lektion erteilen wollen, könnten Sie dieser die Aufgabe geben, die Aufklärung im positiven Sinne weiterzuführen. Was spricht dagegen, die heutige Vernunft über den Logos nachdenken zu lassen, der nachweislich der neutestamentlichen Geschichte bzw. dem christlichen Glauben zugrunde liegt?

 

Statt weiter im bisherigen Sinne über die Echtheit des durch viele Forscherhände gegangen rätselhaften seidenähnlichen Tuchbildes oder seine spektakuläre Herkunft zu diskutieren, könnten Sie einen Denkprozess in Bewegung setzen, der weit über neue geisterhafte Hypothesen hinausgeht: Nicht nur Wissen und Glaube vereint, sondern die Menschen aufgrund des uns gegebenen Wissens um die göttlich-kreative Vernunft allen evolutionären Werdens den einen gemeinsamen Schöpfer wahrnehmen lässt. Wenn Sie in Manoppello dem auferstandnen Jesus des hauchdünnen Schleibildes in die Augen blicken, muss dies nicht der die Vernunft verleugnende Salo Mortale in die Volksfrömmigkeit sein, wie kritisiert wird. Was spricht dagegen, nach der abgebildeten schöpferische Vernunft zu fragen/dem lebendigen Wort, das vernünftigerweise nicht pantheistisch mit Gott gleichzusetzen ist und das bei den antiken Weisheitslehrern in vernünftiger Weise menschliche Gestalt angenommen hat?

 

Der Schulterschluss mit der orthodoxen Schwester braucht dabei nicht zu kurz zu kommen. Denn auf all den orthodoxen Abbildungen sehe ich nirgends den Jesus von Nazareth, wie ihn mir die Neutestamentler beibringen wollen, wenn sie beispielsweise die Soziopsychologie eines Sozialreformers untersuchen. Vielmehr ist meist deutlich der Pantokrator oder zumindest ein hoheitliches Wesen zu erkennen, wie es als der geschichtliche Jesus zu hinterfragen wäre.

 

Die Frage nach dem hoheitlich-historischen Wesen Jesus braucht auch kein neuer Affront gegenüber dem Judentum zu sein. Ganz im Gegenteil wäre nach genau der die Welt bewirkenden und Werte schöpfenden Weisheit Ausschau zu halten, die den Monotheismus von Anfang an getragen hat, die der Befreiung und den Gesetzen des Moses zugrunde liegt, die zu den Propheten gesprochen hat, in Salomo literarisch und bei David lyrisch zum Ausdruck kommt. Weder eine banale Anbiederung an die kurzgeschlossene Vernunft, die die alten Glaubensinhalte verleugnet, noch eine Verherrlichung der christlichen Dogmatik, sollte durch eine Frage nach dem Wort des Schöpfungsautors durch kirchliche Autorität angesichts des Auferstehungsgesichtes angestoßen werden, sondern ein zeitgemäß-aufgeklärter Glaube, der alte Grenzen überwindet. (Somit auch die eigentliche Voraussetzung für den Weltfriede und ein schöpferisch-vernünftiges globales Wirtschaften ist.)

 

Nicht die neuen angeblich religionswissenschaftlichen Thriller bzw. verfilmten Bestseller über den wahren Jesus verunsichern derzeit viele Christen. Vielmehr zeigt sich in der Kritik an Christus als angebliches Kirchenkonstrukt, was herauskommt, wenn wir den ausgetreten bequemen Weg der christlichen Wissenschaft weitergehen. Alle Rede vom Wort in Menschengestalt oder der Heilsbedeutung Jesus wird dann von den meisten Menschen als kirchliche Glaubensrhetorik verstanden. Der Hinweis, dass es seit Albert Schweizer über den historischen Jesus nichts zu sagen gäbe, hilft nicht wirklich, wenn alle Welt von dem zu einem wundersamen jungen Zimmermann verkürzten ausgeht, den die Kirche und ihre gläubigen bzw. gesetzestreuen Mitglieder als Gottessohn ansprechen würden. Alle Beteuerungen, dass es in den Schriften um eine höhere Wahrheit ginge oder die Berufung auf den Christus des Glaubens, bringt dann nicht weiter, lässt vielmehr die Sache Jesus nur noch als reines Mysterium bzw. persönliche Glaubenswahrheit verstehen. Jesus wie ein Art Christengott anzureden, ohne die schöpferische Funktion/das Schöpfungswort mit zu bedenken, das nach heutiger Lehre nur einen besonders begnadeten Lehrer verliehen wurde, beraubt ihn der Funktion, die er hatte.

 

Der christliche Glaube hat ohne die zeitgemäße inhaltliche Füllung der Bedeutungsaussagen mit Blick auf das vernünftige schöpferische Wirken in Kosmos wie Geschichte seinen Boden verloren. Was bleibt ist reine Dogmatik oder ein Gott beliebiger Vorstellung, rein persönlicher Gotteserfahrungen, meist als billiger Trost missbraucht: Ein modernes Götzenbild, fernab eines durchdachten Monotheismus, wie er m.E. im Urchristentum gegenüber taub gewordener Tempel- bzw. Ritusfrömmigkeit im lebendigen Logos aller Schöpfung reformiert wurde. Wenn wir nicht nach dem Schöpferwort fragen, weil wir einen Reformprediger voraussetzen, gleichwohl wir wissen, dass die Evangelien vom auf- bzw. wiederverstandenen Wort bzw. Christus handeln, dann liegt hier die eigentliche Verschlusssache. Die ständige Rede von einem hoheitlichen Jesus muss dann der Welt als reine Glaubensrhetorik der Kirche erscheinen. Ohne ein zeitgemäßes Verständnis von schöpferischer Vernunft hinter der menschlichen Gestalt wird es zu genau dem, was man ursprünglich beim Doketismus als abstrakte Theorie kritisierte. Alles wird zu einem vergeisterten Gebilde. Es verliert seine Realität. 

 

Genau das wird auch in der aktuellen Diskussion um die gespenstischen Thriller deutlich, die derzeit Schlagzeilen machen. Dabei bedienen sich gerade die die Kirche kritisierenden Geisterjäger, die in ihren Bestellern der Welt beweisen wollen, dass Jesus nur ein einfacher Mensch gewesen sei, genau der Zeugnisse, die eindeutig auf dessen hoheitliches Wesen hinweisen. Denn deutlicher als in den abgeschliffenen Schriften des Kanon, die seit vielen Jahrhunderten nur von der Voraussetzung eines Altruisten mit göttlichen Attributen ausgehend übersetzt und gelesen werden, tritt das vernünftige Schöpfungswort bzw. die alle sichtbare Ordnung der Welt bewirkende Weisheit in den apokryphen Schriften hervor, die teilweise erst in den letzten Jahren ans Tageslicht kamen. Wer sich auf Texte beruft, in der der Logos/das Schöpfungswort/die Weltvernunft oft noch weit lebendiger ist, als in bekannten biblischen Schriften.  Und die allein schon durch die literarische Form (oft Weisheitslogien) sowie die völlig andere Darstellung des Leben Jesus darauf hinweisen, dass es den antiken Verfassern nicht um das Wesen gegangen sein kann, das heute an den Hochschulen als historisch untersucht wird, der geht einer Lehre auf den Leim, die er ständig als Verschleierung kritisiert.

 

In Manopello haben Sie die Möglichkeit, Ihre intellektuellen Kritiker, wie die der Kirche an den eigenen Argumenten zu packen und vom Leim zu lösen. Sie brauchen nur angesichts des Abbildes des Auferstandenen eine neue Perspektive des historischen Jesus anzustoßen, Fragen zu stellen, die zum Weiterdenken anregen.

 

Wer heute in theologischen Kreisen ernst genommen werden will, muss von dem ausgehen, was auch alle wissenschaftliche Welt annimmt: Ein besonderer jüdischer Prophet, Reformer, Charismatiker … der Gottessohn war bzw. als solcher angenommen oder der zum Christus-Gott erhoben wurde. Einem Laien, der nicht sein ganzes Weltbild bzw. sein wissenschaftliches Lebenswerk auf diese Prämisse baut, scheint es wesentlich einfacher, die Perspektive zu wechseln, als jemand, der im kirchlichen Leben und Lehrbetrieb steht. Insbesondere Prof. Klaus Berger, aus dessen Büchern und Vorträgen – auch der seiner Schüler - ich schon viel über die der biblischen Lehre zugrunde liegende schöpferische Weisheit, dem göttlichen Wort (Somit des Logos allen Lebens, auch wenn dieser Begriff nur selten in der Bibel benutzt wird.) lernen durfte, habe ich schon oft vergeblich aufgefordert, die Frage nach dem historisch-hoheitlich-heutigen Jesus neu zu stellen. Doch scheinbar bedarf es dazu eines Anstoßes von oberster Autorität bzw. der irdischen Stellvertretung.

 

Es geht dabei nicht um wilde Spekulationen oder Jesus-Perspektiven persönlicher Spiritualität, für die ich Sie vor den Karren spannen möchte. Vielmehr wäre das gewachsene Wissen um die Grundlagen christlichen Glaubens durch eine unvoreingenommene Analyse konsequent zu verwerten. In neuer Weise die Wahrheit der Bibel und die Wirk-lichkeit des ihr zugrunde liegenden und in aller Evolution lebendigen Schöpfungswortes zu bestätigen. Durch kritische Fragen zur allzu menschlichen Sichtweise Jesus, die ganz und gar nicht die der Evangelienschreiber und Ikonenmaler war, könnten Sie die historisch-kritische Lehre, wie die Kirchenkritiker, die Ihnen ständig Wahrheitsverschleierung vorwerfen, von ihren Kurz-schlüssen befreien. 

 

Nach allem was wir heute wissen, kann es nur die schöpferische Weisheit, das in allem natürlichen Werden bzw. menschlicher Geschichte lebendige Wort bzw. die Weltvernunft gewesen sein, die man jüdisch-griechisch als Sohn Gottes erkannt, die in der bekannten Gestalt zur Sprache gebracht wurde und deren wahres Geschichtswirken unter Verwendung alter (wieder neu verstandener) Bilder zeitgemäße beschrieben ist. Wenn wir ernsthaft auswerten, was uns an Wissen über die damals zu lösenden Glaubensprobleme, die Bedeutung des Neuen Testamentes und seine Entstehung bzw. den Kontext des antiken philosophisch-theologischen Denkens von Gott gegeben ist, daher nicht einfach ein Aufwärmen alter Traditionen, Abschreiben mystischer Texte annehmen, die propagandistisch einem Guru aufgesetzt wurden, müssen wir die lieb gewonnenen Vorstellungen von einem jüdischen Che Guevara hinterfragen. Der Jesus des Neuen Testamentes kann nach all dem, was das theologische Tageslicht erhellt hat, kein wundersamer Gottmensch, sondern nur der schöpferische (kreative) Logos allen Lebens bzw. kosmischen Werdens gewesen sein. Das lebendige Wort, dessen Anlitz anlässlich Ihres Besuches vermutlich in allen Gazetten groß zu sehen sein wird, wurde im neuen Bund als Vermittlungswesen erkannt und in menschlicher Gestalt vermittelt. Denn nur so konnte er echt messianische Wirkung entfalten.

 

Wenn wir wirklich Diener der schöpferischen Wahrheit sein wollen, dann dürfen wir das uns gegebene Wissen (in Sachen Geistesgeschichte wie Naturwissenschaft) nicht weiter ausschließen, weil wir immerzu nur einen Gottesguru voraussetzen. Die Neuendeckung des Auferstandenen, wirk-lich lebendigen Jesus ist nicht zu machen, ohne bisherige Voraussetzungen aufzuheben. Auch wenn es auf den ersten Blick grundstürzend wirkt, müssen wir rücksichtslos zu Ende denken, um zu neuen universellen Ein-sichten zu kommen.

 

In vielen Aufsätzen und Briefen an meine Lehrer, die unter „www-theologie-der-vernunft.de“

aufgelistet sind, habe ich die hier aufgestellten Behauptungen näher begründet, versucht deutlich zu machen, warum ich eine Wende im christlichen Sohns- und somit Selbstverständnis für Glaube sowie Weltgesellschaft not-wendig erachte und die Voraussetzungen hierzu gegeben sind. Wie alle neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu herausfordern, das historische Wesen Jesus in neuer Weise zu hinterfragen, ohne dabei alten Bedeutungsinhalte aufgeben zu müssen. Wie diese durch eine neue Perspektive des historischen Wesens Jesus bestätigt, so selbst alttestamentlichen Geschichten als Geschichtswahrheiten vom vormaligen Verstand des Schöpfungswortes deutlich werden, ohne sie als willkürliche Allegorien bzw. geheimnisvolle Glaubenswahrheiten einer eigenen Sprache abtun zu müssen, wird dort versucht zu verdeutlichen.

 

Bitte halten Sie es daher nicht für eine laienhafte Anmaßung, wenn ich Sie anregen möchte, gerade in Manoppello ihre intellektuellen Kritiker eines Besseren zu belehren. Was spricht dagegen, angesichts der Ikone vom Auferstandene Jesus, für deren Besuch Sie in der FAZ als in die geheimnisvolle Wunderwelt rückfällig gerügt werden, nach dem im evolutionären Werden der Welt wieder neu zu verstehenden Schöpferwort zu fragen, dessen menschliches Angesicht auf dem Stoff in wunderbarer Weise zu sehen ist?

 

-Wenn stimmt, was ich nicht nur in Ihren Pfingstpredigen der letzten Jahre lese,

 

-wenn zutrifft, was all Ihre Bedeutungsaussagen über Jesus beinhalten,

 

-wenn Jesus wirklich das schöpferische Wort/die Weisheit in Person war, die sich im Alten Testament anbahnte und die im neuen Bund erneuert bzw. erweitert wurde, er die neue Inkarnation einer Weisheit war, die aus kosmischer Weltordnung abgelesen wurde (wie mir die Religionswissenschaftler nicht nur in „Bibel und Kirche“ beibringen, Sie auch in ihren Predigten sagen),

 

-wenn Christus der Offenbarer war, das Vermittlungswesen der Zeitenwende, das zeitgemäß auf den einen Schöpfervater verwies, der auch Gott der Väter war,

 

-wenn es dabei nicht um ein dunkles Geheimnis, persönliche Glaubensgefühle, Geisteskonstrukt, sondern ein echt lebendiges und mit offenen Augen im Tageslicht wahrnehmbares Wesen geht,

 

-wenn das durch historisch-kritische Forschung hervorgebrachte Wissen, wie es heute selbst in den zahlreichen Publikationen der katholischen Bibelgesellschaft nachzulesen ist, dazu zwingt, die biblischen Gestalten in neuer Weise zu hinterfragen,

 

-wenn wir wissen, dass die Reformdenker der Zeitenwende unmöglich von dem ausgegangen sein können, was wir sehen, wenn wir uns die Story von einem leidvoll hingerichteten Heilsprediger vor Augen halten,

 

-wenn die Schöpferischkeit Jesus und seine Auferstehung keine Glaubensformel, sondern eine echte Explosion im Prozess des Stirb und Werde der Geistesgeschichte bzw. menschlicher Erkenntnis des einen Schöpfers ist,

 

-wenn Ihr Ruf nach der allerseligsten Jungfrau Maria nicht nur einer Miriam gilt, die in geheimnisvoller Weise einen Reformprediger geboren hat, den man als Gottessohn anredete, sondern das hervorbringende Wesen der Mutterkirche, die einst in kreativ-unvoreingenommer Weise den einzigen und ewigen Sohn ausgedrückt, zur Welt gebracht hat,  

 

-wenn die Geschichte Jesus nicht nur ein vom Berg der Verklärung zu schauendes Mirakel von einem Gottmenschen ist, sondern sich dahinter die größte Mutation der Menschheitsgeschichte, der Sprung in eine ganz neue Ordnung verbirgt,

 

-wenn sich an Ostern das lichtvolle Anlitz dessen gezeigt hat, der vorher nur verklärt, vergeistertes Geheimnis der Glaubenstradition war, die schöpferische Weisheit als Ausfluss der sichtbaren Herrlichkeit im Neuen Testament in Jesus in neuem taghellen endgültigen Licht erscheint,

 

-wenn die Göttlichkeit bzw. Schöpferischkeit Jesus, die vorher verborgen war, in damaliger Sprache vermittelt wurde (was wir an verschiedenen Sonntagen in besonderer Weise feiern), menschliche und göttliche/bzw. schöpferische Natur Jesus sichtbar war,

 

-wenn ein neues Pontifikat wirklich Zeit der Veränderung ist, über die internationale Theologen in „concilium“ nachdenken, wonach die Kernlehre des Christentums in Anerkennung der Vielfalt, in Offenheit für neue Ein-sichten ständig weiterzuentwickeln wäre,

 

-wenn Petrus nicht Vorbild von Versteinerung, sondern Fortschritt sein soll, der auch bereit ist, alte Vorstellungen aufzugeben, um der Welt neue geben, die Kirche weiterzuführen,

 

-wenn die bereits beim 2. Vatikanischen Konzil analysierten Probleme immer noch auf „Ihre“ Lösung warten, Bischöfe „Zeugen der universalen schöpferischen und somit katholischen Wahrheit“ sind,

 

-wenn die Kirche die vom Heiligen Geist beseelte Bewegung ist, ein Fluß, der durch die Geschichte strömt, um sie mit der Gnade Gotte zu durchdringen und fruchtbar zu machen an Leben,

 

-wenn der heile Geist der Kirche die Menschen von heute in der von Jesus geoffenbarten echt universellen Wahrheit halten soll, um sie aufgeklärt zur schöpferischen Mitgestaltung zu befähigen,

 

-wenn die Vision des Petrus nicht nur eine persönliche Vorstellung, ein Hokuspokus bzw. Hirngespinst, sondern die Einsicht in diese universelle Wahrheit war, deren Fehlen heute von vielen Ihrer Kollegen beklagt wird,

 

-wenn das, was ich in der von Ihnen verfassten Enzyklika „Fides et Ratio“ über Vernunft und Weisheit auf der Suche nach der Wahrheit lese mehr ist als taubes Papier,

 

-wenn beispielsweise zutrifft, dass die grundlegende Erkenntnis durch das Bestaunen der mit offenen Augen betrachteten Schöpfung geweckt wird, der philosophische Sinn/Logos im Grunde kein anderer ist, als den die Kirche als durch den einen Schöpfer gegeben erkennt,

 

-wenn wir nicht weiter alles Christliche für übernatürlich ansehen wollen, außerhalb der realen Welt, Menschwerdung Jesus in der Fülle der Zeit geschieht, jedoch nicht nur geheimnisvolles Rätsel, sondern auf Gott und seinen Willen verweisende Realität ist,

 

-wenn Glaube und Vernunft sich nicht weiter gegenseitig ausschließen, nur nebeneinander stehen, sondern der Glaube auf eine höhere, schöpferische Vernunft gründen, in kreativer Entwicklung eine die alten Vorstellungen übersteigende neue Ein-sicht entstehen soll,

 

-wenn der gläubige Mensch sich durch Jesus jetzt weder auf die Vermittlung geheimnisvoller Offenbarungsbotschaften durch andere Menschen bzw. Vor-gesetzte verlassen muss, die rational nicht erreichbar sind, noch traditionell Vor-gesetztes, das oft nur noch für eigene Moral-Meinungen missbraucht wird,

 

-wenn gleichzeitig die heute Naturwissenschaft nicht weiter nur auf ein rein mechanistisches Modell pocht, sondern wie selbstverständlich von einer Intelligenz/gar einem Logos spricht, durch den alles bewegt wird, über den Darwin verdrehenden Kurz-schluss hinaus längst in allen evolutionären Abläufen bzw. dem gesamten Naturgeschehen ein vernünftig-kreatives Wirken nachgewiesen wird,

 

-wenn heute fast alles, was noch vor wenigen Jahren im Ablauf der Biologie als „böse“ oder „falsch“ eingestuft wurde, heute als jeweils artgerecht bzw. im ganzheitlich betrachteten Ablauf und der notwendigen Artenvielfalt als schöpferisch sinnvoll/vernünftig nachgewiesen wird, die Naturwissenschaftler damit Hiob hinter sich lassen,

 

-wenn durch Jesus nicht weiter dem unbekannten Gott oder vielen Göttern und Götzen geopfert, sondern der eine Schöpfer deutlich wird…

 

dann haben Sie in Manopello die Chance, ist die Zeit reif, über das Gesicht des echt auferstandenen Jesus in zeitgemäßer Weise nachdenken zu lassen.

 

Gerade weil das von historisch-kritischer Forschung freigeschaufelte Grab leer ist, lebt Jesus: Nicht als Leichnam eines vergotteten Gutmenschen im Geist der Gläubigen, sondern Logos/Vernunft, die heute hinter aller Erde- und Menschheitsgeschichte zu sehen ist, so auf den einen Gott und seinen artgerecht (Geist begabt), menschlich-schöpferisch umzusetzenden Willen verweist.

 

Beim Besuch des Schleierbildes vom Auferstandenen könnten Sie als oberster Hirte durch bestimmte Fragestellungen den Weg für einen anstehenden und dringend not-wendigen Weidewechsel frei machen: Durch die  Frage nach dem wahren Wesen des Neuen Testamentes könnten Sie das christliche Denken in ein Land führen, in dem nicht nur geisterhafte Geschichten wiedergekaut, gleichzeitig auf leerem Stoppelfeld eines rein persönlich-beliebigen Glaubens die Köstlichkeit des frischen Grases gelobt wird. Ein Land, in dem der Offenbarer bzw. biblisch beschriebene Heilsbringer in all seinen Bedeutungsinhalten lebendig ist, als Logos allen natürlichen Werdens in Ein-sicht mit dem Schriftwort mit aufgeklärten Augen alle alten Grenzen überschreitend wahrgenommen werden kann: So der aufgeklärte Mensch zur schöpferisch vernünftigen Lebensweise befähigt wird.

 

Gerade das auf der Ikone in Manoppelle zu sehende „Auferstehungsgesicht“ Jesus könnte Anstoß zu neuen Fragen sein, die zu einer völlig neuen Sichtweise des christlichen Glaubens führen. Wissenschaftliches Weltbild und christlichen Glauben auch heute für Heiden und Juden(Gesetzes)-Christen auf einen gemeinsamen Nenner bringen, dessen irdischer Stellvertreter Sie sind. Wie in der FAZ zynisch bemerkt, wäre dann der anschließende Besuch in der Heimat einstiger Dichter und Denker wirklich nur eine Fußnote der Wortgeschichte.

 

Nicht nur in der kosmischen Ordnung, sondern auch im evolutionären Verlauf, scheint alles seine Zeit zu haben, einer höheren Vernunft zu ent-sprechen. So hatte die Wesensart ihres Vorgängers ebenso ihre Bedeutung, wie das, was Sie als intellektueller Denker und Dogmatiker in besonderer Weise auszeichnet. Auch wenn es verlockend ist, der liebenswürdigen Lebensart von Papst Johannes-Paul nachzueifern, sie von der Weltpresse dafür gelobt werden. Sie haben die Autorität, um nach dem Wesen zu fragen, das die Verfasser der Evangelien, wie ihre philosophischen Gegner damals für selbstverständlich hielten, aus dem antiken wissenschaftlichen Weltbild ableiteten und von dessen neuem menschlichen Gesicht auch heute die biblisch beschriebe Heilswirkung ausgehen könnte.

 

In der Hoffnung auf Gehör für das Wort des Schöpfers in der realen Welt,

mit hochachtungsvollen Grüßen aus der Pfalz.

 

Gerhard Mentzel

 

 

 

 

Auch wenn diese Zeilen noch nicht Anstoß zu Fragen nach dem zeitgemäßen Gesicht des Auferstanden Jesus in Monopelle sein werden. Was von oberster Stelle gegen die hier aufgeworfenen Fragen und das Nachdenken über die Sichtweise des in allem Kosmos wirksamen Schöpfungswortes als historisch-hoheitlicher und heute lebendiger Jesus spricht, würde mich sehr interessieren.

 

Daher vielen herzlichen Dank für eine kurze Antwort mit entsprechenden Argumenten.

 

Anlage: Vision eines neuen Verständnisses